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03.12.2012

Interview mit Dirk Philippi: "Eishockey muss Spaß machen"

Seit über einem Jahr ist Dirk Philippi zweiter Vorstand beim EHC Freiburg. Gemeinsam mit Trainer Thomas Dolak hat er an jenem Team gebastelt, das in den bisherigen 16 Spielen als Aufsteiger so begeistert hat. Nach dem furiosen Match gegen Selb sprach Philippi mit EHC-Online über das Geheimnis dieser Freiburger Mannschaft, die Bedeutung von Thomas Dolak und ließ die letzten Minuten in Erding noch einmal Revue passieren.

EHC-Online: "Herr Philippi, sie haben auf dem EHC-Fantalk Anfang September gesagt, dass jeder Sieg des EHC Freiburg zu Saisonbeginn eine Überraschung ist. Wenn man nun nach 16 Spiele bilanziert, ist daraus eine faustdicke Überraschung geworden, oder?"

Dirk Philippi: "Die Faust ist ziemlich groß. (strahlt) Ja, absolut. Wir sind alle überwältigt von der Leistung der Mannschaft und insbesondere von dem Zusammenhalt und dem Teamgeist. Aber auch von der Schnelligkeit des Lernprozesses. Wir sind gleichzeitig darauf vorbereitet, dass es Rückschläge geben kann und wird. Aber die Mannschaft hat zum jetzigen Zeitpunkt mehr als bewiesen, dass es richtig war, ihnen zu vertrauen."

EHC-Online: "Was sind für sie wesentliche Gründe für den bisherigen Erfolg, welche die Mannschaft auch auszeichnen?"

Philippi: "Teamgeist, Lernfähigkeit, Motivation."

EHC-Online: "Sie haben an der Zusammenstellung der Mannschaft mitgewirkt. Wie groß ist die Last, wenn man dann die Spiele verfolgt?"

Philippi: "Riesig. Ich sehe mich schon irgendwann wie Achim Stocker (ehemaliger Präsident des SC Freiburg, der die Spiele seiner Mannschaft im Videotext verfolgt hat; Anm. d. Red.) aus der Halle rausrennen."

EHC-Online: "Wie groß ist dann auf der anderen Seite die Freude?"

Philippi: "Mindestens genauso groß wie die Last. Das Schwierige für mich, wenn ich die Spiele beobachte, ist, dass mein Verstand mir eigentlich sagt, die Jungs können noch gar nicht so weit sein, auf der anderen Seite sie aber jetzt bewiesen haben, dass sie eigentlich jeden Gegner schlagen können. Wenn man jemandem die Sahne unter die Nase reibt, will man auch daran schlecken."

EHC-Online: "Der Charakter, der das Team auszeichnet, ist so etwas überhaupt planbar?"

Philippi: "So etwas ist fast gar nicht planbar. Wenn überhaupt, dann kann man von der anderen Seite herkommen und versuchen, den Charakter eines Spielers zu sichten und zu verstehen, und somit die berühmten Stinkstiefel aus der Mannschaft raushalten, die das Teamgefüge stören könnten. Es ist nicht gut, wenn im Team nur Eitelsonnenschein ist, da dürfen auch Spannungen sein. Aber es muss halt im Rahmen bleiben. Offensichtlich stimmt bei unserem Team die Chemie."

EHC-Online: "Ist der Zusammenhalt auch ein Lohn dafür, dass sie fast ausschließlich auf Freiburger Spieler setzen?"

Philippi: "Ich glaube, dass die Verbundenheit und die Identifikation mit dem Verein und mit der Stadt tatsächlich eine Rolle spielt. Ich glaube nicht, dass das nur so dahingesagt ist, sondern daran glaube ich wirklich, dass ein Spieler, der hier seine Kindheit verbracht hat, das Trikot anders trägt als ein Spieler, der den Verein gar nicht kennt. Das ist sicherlich ein Auftreten auf dem Eis, das Spieler ansteckt, die Freiburg bisher noch gar nicht kannten."

EHC-Online: "Sie waren auch in Erding dabei und haben die letzten Minuten direkt hinter der Bande neben den Jungs verbracht. Haben sie so etwas schon einmal erlebt?"

Philippi: (überlegt kurz) "Nein, so etwas noch nie. Man reagiert dann in Reflexen. Als dieses Gegentor fällt, dann bist du sportlich eigentlich tot. Dann stehst du da, lässt einen Reflex los und schreist auf die Bank: "Weiter! Weiter! Weitermachen!" Und es brennt halt wirklich in den Jungs und je mehr man sie reizt, umso schwieriger wird es, sie zu besiegen. Und Erding hatte sie gereizt im zweiten Drittel und dieser Schlussspurt war die Antwort."

EHC-Online: "Wie war die Stimmung nach dem 4:4 auf der Bank?"

Philippi: "Ich hab nur irgendwann gesehen, wie das Netz gezappelt hat. Die Leute lagen sich in den Armen, ich hab Fabi Hönkhaus neben mir umarmt. Das war dann schon eigentlich nicht mehr richtig Sport, auf der Bank zumindest, auf dem Eis war es großer Sport. Auf der Bank war es mehr Hollywood."

EHC-Online: "Dann haben die Jungs acht Sekunden später noch gemeint, sie müssten den Siegtreffer machen. Muss man sich da noch mal kneifen?"

Philippi: "Ich hab mich dann selbst gekniffen, indem ich, nachdem wir morgens um halb Vier in Freiburg waren, noch mindestens zehnmal die Statistikseite aufgerufen und geschaut habe, ob es wirklich stimmt. In dem Moment selbst ist es nur Euphorie und Glückseligkeit. Das ist Sport. Man muss es abhaken, das Positive mitnehmen und genießen. Ich habe immer gesagt, Eishockey muss Spaß machen, das haben wir den Jungs schon in der Regionalliga-Saison gepredigt. Auch vor dieser Saison in einer großen Teambesprechung haben Werner Karlin und ich probiert, ihnen glaubhaft zu vermitteln, wie wichtig uns ist, dass dieser Sport nicht nur den Zuschauern, sondern auch ihnen Spaß macht. Sie sollen Spaß haben hier Eishockey zu spielen. Und das sind natürlich die Momente, wo sich genau das erfüllt."

EHC-Online: "Im Sport spielt die Psyche eine wichtige Rolle. Können solche Spiele, wenn man weiß, dass man schon Rückstände aufgeholt und umgebogen hat, einen auch durch eine Saison tragen?"

Philippi: "Also ich glaube nicht, dass es ein Momentum gibt, dass einen durch die ganze Saison tragen kann. Man kann sich darauf berufen, dass so etwas in schwierigen Situationen möglich ist. Ich glaube eher, dass es auch gefährlich ist. Man darf sich eben nicht darauf verlassen, dass es funktioniert, weil es nicht immer funktioniert. Bei unserer Mannschaft hat man manchmal den Eindruck, sie legen es wirklich darauf an, Rückstände aufzuholen. Aber es ist ja nicht so, dass sie absichtlich in Rückstand geraten. Man muss versuchen, das Positive aus solchen Aktionen herauszunehmen und dann kann einem das für andere Spiele helfen, aber nicht durch eine ganze Saison tragen, das glaube ich nicht."

EHC-Online: "Noch einmal zum Stichwort Zusammenhalt: Man sieht es auch auf der Trainerbank. Thomas Dolak war unter der Woche krank gewesen, Petr Mares stand ihm zur Seite. Ist das auch ein Aspekt, der den Verein stärker macht?"

Philippi: "Dazu kann ich eigentlich nur sagen, den Bärenanteil an der Situation, die wir momentan haben, hat Thomas Dolak. Weil er all das, was wir uns von den Jungs wünschen, ihnen vorlebt. Ich bin davon überzeugt, dass Freiburg keinen motivierteren, keinen akribischer arbeitenden Trainer bekommen kann als Thomas Dolak in diesem Jahr. Er gibt alles für diesen Verein, er lebt es mit. Er analysiert messerscharf und er ist auch hart im Umgang mit Fehlern. Das alles hilft der Mannschaft und bringt sie nach vorne."

EHC-Online: "Er selbst hat praktisch alle Spieler im Nachwuchs trainiert und hervorgebracht."

Philippi: "Das ist natürlich ein riesiger Vorteil, und zwar beidseitig. Thomas weiß um die Stärken und Schwächen der Spieler, er weiß wo er die Hebel ansetzen muss. Umgekehrt wissen aber auch die Spieler, was sie an Thomas haben. Das ist gerade einfach eine Mischung, die passt."

EHC-Online: "Wie sehr haben sie heute beim Duell gegen Selb gelitten und sich gefreut?"

Philippi: "Das war ein Spiel auf ganz hohem Niveau, wie ich finde. Eines der besten Spiele, das ich in letzter Zeit hier in Freiburg gesehen habe. Klar leidet man dann mit, wenn man sich so viel vorgenommen hat und dann so schlecht in das Spiel reinkommt. Und wenn man merkt, dass der Gegner richtig bärenstark ist. Die Zuversicht war aber da. Wir haben versucht, die Jungs von außen zu pushen. Und ja dann freut man sich. Wieder zurück zu dem, was ich vorhin gesagt habe: Die Jungs haben Spaß und wir dürfen auch Spaß dabei haben. Wir arbeiten die ganze Woche über, dass der EHC weiter funktioniert und nach vorne kommt. Und wenn der Puck eingeworfen wird, dann können wir auch Spaß haben und ihn auch genießen. Da war Freude pur."

EHC-Online: "Darf man sie eigentlich während des Spiels ansprechen?"

Philippi: "Ja, klar."

EHC-Online: "Oder laufen sie dann schreiend weg!?"

Philippi: "Nein, ansprechen kann man mich auf jeden Fall. Ich laufe immer weg, wenn wir in Rückstand geraten. Dann ändere ich meinen Sitzplatz."

EHC-Online: "Aberglaube?"

Philippi: "Total! Fürchterlich... Es funktioniert aber. Heute auch wieder, als Selb plötzlich mit 4:3 in Führung gegangen ist, bin ich aufgestanden und hab mich erstmal 100 Meter weiter weg gesetzt. Als ich zurückkam, haben wir 5:4 geführt."

EHC-Online: "Das heißt sie waren außerhalb des Stadions?"

Philippi: "Nein, schon innerhalb. Nur weiter weg gesessen."

EHC-Online: "Färbt sich das auch schon auf das Privatleben zuhause ab?"

Philippi: "Nein, da kann ich abschalten. Das kriege ich eigentlich ganz gut auf die Kette, dass wenn ich hier vom Parkplatz fahre, tatsächlich weitestgehend abschalten kann."

EHC-Online: "Sie haben gerade den EHC-Adventskalender vor sich liegen. Welche Überraschung hätten sie am liebsten, wenn sie ein Türchen öffnen?"

Philippi: "Also wenn es nach Überraschungen geht, habe ich schon 16 Türchen geöffnet."

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